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           Rezension 2      Erinnyen Nr. 16                                                                                           

 

 

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Wieder gelesen!

„Die Zerstörung der Vernunft“

Wider die Nietzsche Verherrlichung  

Es  gibt keine „unschuldige“ philosophische Stellungnahme. (S. 34) 

Lukács, Georg:

Die Zerstörung der Vernunft. Georg Lukács Werke Band 9, Neuwied am Rhein, Berlin Spandau 1962. (Zuerst erschienen 1953)

 Das berühmt berüchtigte Buch von Lukács über den Irrationalismus ist wie kein anderes den bundesdeutschen Intellektuellen auf die Nerven gegangen, weil es ihren Schwachpunkt getroffen hat. Inzwischen ist die Denunziation dieses Klassikers gegen den Irrationalismus schon Lexikonwissen, man lese nur das Stichwort „Irrationalismus“ im größten deutschsprachigen Philosophielexikon, dem „Historischen Wörterbuch der Philosophie“. Dabei macht es Georg Lukács seinen Kritikern auch sehr leicht, ihn zu denunzieren, etwa wenn er den Scharlatan Lyssenko lobt. Wenn aber jedes Buch, das Fehler enthält Gegenstand einer Denunziation wird, dann dürfte man gar kein philosophisches Werk lesen. Georg Lukács geht es um die geistigen Ursachen des Faschismus. Er erkennt sie in der Philosophie nach Hegel. Je mehr sich die Arbeiterbewegung bemerkbar machte, um so mehr wird die bürgerliche Philosophie zur Apologie des Kapitalismus, gibt die Vernunfteinsichten der klassischen Periode der bürgerlichen Philosophie von Kant bis Hegel preis und wird immer irrationaler, so dass Hitler nur noch an diesen Irrationalismus anzuknüpfen brauchte, um seine primitive Ideologie zu propagieren. Das bürgerliche Denken hatte keine Widerstandkraft dagegen, weil es ihm vorgearbeitet hatte.  

Kritik an Lukács Voraussetzungen

 Ein solches Buch wider zu lesen erscheint antiquiert. Lukács Variante einer Philosophie sowjetmarxistischer Provenienz ist heute völlig außerhalb des philosophischen Interesses, zumal die Geltung der Hauptthesen dieser Philosophie mehr der staatlichen Macht sich verdanken als ihrer rationalen Dignität. Vor allem drei Aspekte muss man bedenken, wenn man dennoch das Werk Gewinn bringend rezipieren will: Die vorschnelle Identifizierung von Philosophemen mit den Positionen im Klassenkampf, was auf der nicht haltbaren These von der Widerspiegelung der sozialen Realität im Denken beruht, und schließlich die Annahme eines objektiven Ganges des Fortschritts zum Kommunismus. Selbstverständlich hat das Denken, wenn es wahr ist, ein Korrelat in der extramentalen Sphäre. Wir haben Zugang zur Außenwelt über die sinnliche Erfahrung. Aber was wir aus den sinnlichen Daten, die auch wieder nur einen kleinen Auszug des „Seienden“ liefern, machen, ist keine Widerspiegelung der Außenwelt, sondern unsere Konstruktion durch den Verstand und die Vernunft, in die auch unsere Interessen eingehen, die nicht, wenn man Klasseninteressen als Beispiel nimmt, einfach vorgegeben sind. Zwar lassen sich vernunftbestimmte Interessen einer Klasse bestimmen, diese haben aber eher den Rang von moralischen Appellen, wenn sie sich nicht mit den empirischen Interessen der Mehrheit dieser Klasse decken. Letztlich kann so etwas nur behaupten, wer einen notwendigen Gang der Weltgeschichte zum sozialen Fortschritt unterstellt, eine These, welche die Interessen der herrschenden Bürokratie im sowjetischen Machtbereich legitimieren sollte. Dieses sowjetmarxistische Lehrstück ist nicht nur empirisch durch den Zusammenbruch des Ostblocks widerlegt, sondern es war schon immer falsch. Nicht umsonst spricht Marx von „Tendenzen“ des Kapitalismus und kritisiert die Vorstellung von Geschichte, sie sei ein apartes Subjekt. Lukács bekennt sich wiederholt zu diesen drei Thesen, liest man aber genauer, dann werden diese falschen Thesen doch immer wieder relativiert am zu behandelnden Material. Manche Formulierungen scheinen bloße Zugeständnisse an die herrschende Partei in Ungarn zu sein.  

(Vgl. auch die Kritik an Lukács im Text über Lotze, 0.2.)

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Grundgedanke

 Berücksichtigt man diese teilweise schiefe Perspektive, kann sein Buch dennoch heute mit intellektuellem Gewinn gelesen werden, weil sein Gegenstand immer noch aktuell ist. Lukács zeigt, wie die soziale Demagogie des deutschen Faschismus und das irrationale Klima, das sie erzeugt, vorbereitet und geistig ermöglicht wurde. Seine Hauptthese ist, dass nach Hegel das bürgerliche Denken die Arbeit an der Zerstörung der Vernunft begonnen hat und immer mehr zum Irrationalismus abgeglitten ist, so dass die Nazis schließlich ihre dilettantische Weltanschauung nur noch abzuschreiben brauchten, so z.B. bei der Lebensphilosophie Nietzsches und Spenglers. „Hitler und Rosenberg tragen alles, was über irrationellen Pessimismus von Nietzsche und Dilthey bis Heidegger und Jaspers auf den Lehrstühlen, in den intellektuellen Salons und Cafés gesprochen wurde, auf die Straße.“ (S. 78)  Im Gegensatz zu den akademischen Vorurteil, Philosopheme seien bloß unschuldige Hypothese, geht Lukács zurecht davon aus, dass ein Intellektueller Verantwortung trägt für seine Äußerungen. Mag ein Seminar der Ort sein, um neue Gedanken auszuprobieren, sobald sie als eine Wahrheit veröffentlich werden, verselbstständigen sie sich, werden zu Handlungsanleitungen und, wenn sie falsch sind, der Grund einer zerstörerischen Praxis. 

Es ist nicht die Intention von Lukács, das Werk einzelner Denker, die hier und da einen Fortschritt der Erkenntnis hervorgebracht haben,  als Ganzes zu würdigen, sondern er polemisiert gegen ihre Haupttendenz, die auf eine Zerstörung des rationalen Denkens und auf das Ersetzen der Vernunft durch den Irrationalismus hinausläuft. (Zu seiner Definition des „Irrationalismus“ siehe auch die Arbeit über Lotze in diesen Erinnyen, Kapitel „Irrationalismus“ 3.5.)  Dieser macht blind der sozialen Wirklichkeit gegenüber, der wir doch nicht als menschliche Körper entrinnen können, soweit wir auch in die Nebelregionen des Denkens entfliehen. Diese Einseitigkeit der Konzentration auf die „Zerstörung der Vernunft“ ist aber zugleich die Stärke dieses Werkes. Lukács macht an vielen Philosophemen den Bezug zur gesellschaftlichen und ökonomischen Wirklichkeit deutlich, ohne den philosophischen Gedanken im soziologischen Material zu ertränken. Da die Haupttendenz der bürgerlichen Philosophie bis heute fortdauert, bleibt Lukács Werk aktuell. Und es ist kein Wunder, wenn selbst gemäßigte Denker wie Herbert Schnädelbach Lukács mehr denunzieren als kritisieren, denn im Begriff des Irrationalismus trifft er das heutige bürgerliche Philosophieren bis hin zu Habermas. 

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Inhalt

 Im ersten Kapital geht Lukács auf die Eigentümlichkeit der deutsche Geschichte ein, um zu analysieren, warum in Deutschland „ein solches Zentrum der Vernunftfeindlichkeit“ entstanden ist, dass den Faschismus geistig ermöglichte. Im zweiten Kapitel wird die Periode von 1789- 1848 behandelt: Dabei geht er vor allem auf Schelling, Schopenhauer und Kierkegaard ein. Das dritte Kapitel beschäftigt sich ausschließlich mit Nietzsche. Im vierten Kapitel wird „Die Lebensphilosophie im imperialistischen Deutschland“ behandelt, hier kritisiert er Philosophen wie Dilthey, Simmel, Spengler, Scheler, Heidegger, Jaspers und die präfaschistische und faschistische Lebensphilosophie. In den weiteren Kapiteln geht er auf den Neuhegelianismus, die deutsche Soziologie und den Sozialdarwinismus und letztlich auf die Ideologie des Faschismus selbst ein. Ein Nachwort zur zweiten Auflage behandelt die Nachkriegszeit, vor allem amerikanische Ideologen, dieser Teil scheint mir der niveauloseste zu sein, weil Lukács hier am engsten der Parteidoktrin unterworfen ist. 

Lukács Nietzsche-Kritik

 In dieser Rezension werden wir nur auf Lukács Kritik an Nietzsche näher eingehen, weil dieser Denker heute zum Modephilosoph avanciert ist, was mehr über den Zustand des Denkens als über Nietzsche aussagt. Nach 1945 setzt bei den meisten bürgerlichen Philosophen eine Nietzsche-Apologie ein, die ihn von allen Vorwegnahmen der Nazi-Ideologie reinigte und jede kritische Distanz zu seiner Verherrlichung von Herrschaft und Brutalität vermissen lässt. Ein Vorgang, den Lukács in seinem Nachwort von 1962 bereits kritisiert. Diese Tendenz hat sich zu einem Boom entwickelt und hält bis heute an. Selbst die Rezeption sich links gebender Philosophen, die scheinbar der kritischen Theorie nahe stehen, will von Nietzsche die Kritik der Moralphilosophie lernen, indem sie Lukács Schrift bestenfalls in der Vorbemerkung aus dem Inhaltverzeichnis mit einem Schlagwort denunziert, ohne auf die Argumentation von Lukács einzugehen. (So Gerhard Schweppenhäuser: Nietzsche Überwindung der Moral, Würzburg 1988, S. 9)  Was sie Lukács vorwerden, dass er nicht in die Stärken der jeweiligen Denker eingeht, sondern ihre Fehler scharf kritisiert, machen sie umgekehrt mit Lukács, wenn sie denn nicht dem antikommunistischen Klischee verfallen, gar nicht zu kritisieren, sondern nur zu denunzieren.

 Wir dagegen behaupten, man kann heute Nietzsche nicht rational rezipieren, ohne die Kritik von Lukács zur Kenntnis zu nehmen. Erst wenn man mit Lukács Nietzsches Irrationalismus und seine Herrschaftsunmittelbarkeit kritisiert hat, ist es möglich, kulturkritische und moralkritische Einsichten, die seine Philosophie auch enthält, rational überhaupt zu verstehen, ohne zugleich auf sein „Genie“ usw. abzufahren. 

Indirekte Apologetik

Lukács unterscheidet zwischen direkter und indirekter Apologetik des Kapitalismus. Eine direkte Apologetik des Kapitalismus ist in Europa kaum möglich gewesen, weil es starke Arbeiterbewegungen gab und die Menschen solch eine primitive und zynische Rechtfertigung der Ausbeutung nicht akzeptiert hätten. Deshalb ist hier die indirekte Apologetik vorherrschend, die z.B. durch anthropologische Konstanten oder Bildungsbezüge die Herrschaft des Kapitals rechtfertigt. Zur indirekten Apologetik gehört nach Lukács auch die Philosophie Nietzsches. „Der ‚soziale Auftrag’, den Nietzsches Philosophie erfüllt, besteht darin, diesen Typus der bürgerlichen Intelligenz (der zwischen den Klasseninteressen schwankt, B.G.) zu ‚retten’, zu ‚erlösen’, ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch, ja jede ernsthafte Spannung mit der Bourgeoisie überflüssig macht; einen Weg, auf dem das angenehme moralische Gefühl, ein Rebell zu sein, weiter bestehen bleiben kann, sogar vertieft wird, indem der ‚oberflächlichen’, ‚äußerlichen’ sozialen Revolution eine ‚gründlichere’, ‚kosmisch-biologische’ lockend gegenübergestellt wird. Und zwar eine ‚Revolution’, die die Privilegien der Bourgeoisie vollständig bewahrt, die vor allem das Privilegiertsein der bürgerlichen, der parasitären imperialistischen Intelligenz leidenschaftlich verteidigt; eine ‚Revolution’, die sich gegen die Massen richtet, die der Furcht der ökonomisch und kulturell Privilegierten, diese ihre Vorrechte zu verlieren, eine pathetisch-aggressiven, die egoistische Furcht verschleiernden Ausdruck verleiht.“ „Jedoch gerade diese Verknüpfung von brutal ordinärem Antisozialismus mit einer raffinierten, geistreiche, zuweilen sogar richtigen Kultur- und Kunstkritik (man denke an die Kritik Wagners, des Naturalismus usw.) macht seine Inhalte und Darstellungsweisen so verführerisch für die imperialistische Intelligenz.“ (S. 277) 

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Herrschaftsphilosophie

 Wie die indirekte Apologetik zur Rechtfertigung von Herrschaft aussieht, macht Lukács an eindruckvollen Zitaten deutlich:

 1871, unmittelbar nach dem Sturz der Pariser Kommune schreibt Nietzsche: „Wir dürfen wieder hoffen! Unsere deutsche Mission ist noch nicht vorbei! ich bin mutiger als je: denn noch nicht alles ist unter französisch-jüdischer Verflachung und ‚Eleganz’ und unter dem gierigen Trieben der ‚Jetztzeit’ zugrunde gegangen. Es gibt doch noch Tapferkeit, und zwar deutsche Tapferkeit, die etwas innerlich anderes ist als der élan unserer bedauernswerten Nachbarn. Über den Kampf der Nationen hinaus hat uns jener internationale Hydrakopf erschreckt, der plötzlich so furchtbar zum Vorschein kam, als Anzeiger ganz anderer Zukunftskämpfe.“ 

1873: „Mein Ausgangspunkt ist der preußische Soldat: hier ist eine wirkliche Convention, hier ist Zwang, Ernst und Disciplin, auch in Betreff der Form.“ (S. 284) 

1873: „Die allgemeinste Bildung, d.h. die Barbarei ist eben die Voraussetzung des Communismus ... Die allgemeine Bildung geht in Haß gegen die wahre Bildung über ... Keine Bedürfnisse haben ist für das Volk das größte Unglück, erklärte einmal Lassalle. Daher die Arbeiterbildungsvereine: als deren Tendenz mir mehrfach bezeichnet worden ist, Bedürfnisse zu erzeugen ... Also der Trieb nach möglichster  Verallgemeinerung der Bildung hat seine Quelle in einer völligen Verweltlichung, in einer Unterordnung der Bildung als eines Mittels unter den Erwerb, unter das roh verstandene Erdenglück.“ (S. 285) 

Anfang der 1870er Jahre:  „Und wenn es wahr sein sollte, daß die Griechen an ihrem Sklaventum zugrunde gegangen sind, so ist das andere viel gewisser, daß wir an dem Mangel des Sklaventums zugrunde gehen werden.“ (S. 286) 

Zweite Hälfte der 1870 Jahre: „Eine höhere Kultur kann allein dort entstehen, wo es zwei unterschiedene Kasten der Gesellschaft gibt: die der Arbeitenden und die der Müßigen, zu wahrer Muße Befähigten; oder, mit stärkerem Ausdruck: die Kaste der Zwangs-Arbeit und die Kaste der Frei-Arbeit.“ (S. 292) 

1878:  DasVolk ist vom Sozialismus, als einer Lehre von der Veränderung des Eigentumserwerbs, am entferntesten: und wenn es erst einmal die Steuerschraube in den Händen hat, durch die großen Majoritäten seiner Parlamente, dann wird es mit der Progressivsteuer dem Kapitalisten-, Kaufmanns- und Börsenfürstentum an den Leib gehen und in der Tat langsam einen Mittelstand schaffen, der den Sozialismus wie eine überstandene Krankheit vergessen darf.“ (S. 293) 

1887: „Fügen wir uns in die Tatsachen: das Volk hat gesiegt – oder ‚die Sklaven’ oder ‚der Pöbel’ oder ‚die Herde’ oder wie sie es zu nennen belieben ...’Die Herren’ sind abgetan; die Moral des gemeinen Mannes hat gesiegt ... Die ‚Erlösung’ des Menschengeschlechts (nämlich von den ‚Herren’) ist auf dem besten Wege; alles verjüdelt oder verchristelt oder verpöbelt sich zusehens (was liegt an Worten!). Der Gang dieser Vergiftung durch den ganzen Leib der Menschheit hindurch, scheint unaufhaltbar...“ (S. 294) 

1887: „Das Problem – wohin? Es bedarf eines neuen Terrorismus.“

 1888: „Wen hasse ich unter dem Gesindel von Heute am besten? Das Sozialisten-Gesindel, die Tschandala-Apostel, die den Instinkt, die Lust, das Genügsamkeits-Gefühl des Arbeiters untergraben, - die ihn neidisch machen, die ihn Rache lehren ... Das Unrecht liegt niemals in ungleichen Rechten, es liegt im Anspruch auf ‚gleiche’ Rechte...“

 1888: „Die Dummheit, im Grund die Instinkt-Entartung, welche heute die Ursache aller Dummheiten ist, liegt darin, daß es eine Arbeiterfrage gibt. Über gewisse Dinge fragt man nicht: erster Imperativ des Instinkts. – Ich sehe durchaus nicht ab, was man mit dem europäischen Arbeiter machen will, nachdem man erst eine Frage aus ihm gemacht hat. Er befindet sich viel zu gut, um nicht Schritt für Schritt mehr zu fragen, unbescheidner zu fragen. Er hat zuletzt die große Zahl für sich. Die Hoffnung ist vollkommen vorüber, daß hier sich eine bescheidene und selbstgenügsame Art Mensch, ein Typus Chinese zum Stande herausbilde: und dies hätte Vernunft gehabt, dies wäre geradezu eine Notwendigkeit gewesen. ... man hat den Arbeiter militärtüchtig gemacht, man hat ihm das Koalitions-Recht, das politische Stimmrecht gegeben: was Wunder, wenn der Arbeiter seine Existenz heute bereits als Notstand (moralisch ausgedrückt als Unrecht -) empfindet? aber was will man? Nochmals gefragt. Will man einen Zweck, muß man auch die Mittel wollen. Will man Sklaven, so ist man ein Narr, wenn man sie zu Herren erzieht.-“   (S. 295) 

80er Jahre (Wille zur Macht): Über die „Herren der Erde“: „Offenbar werden sie erst nach ungeheuren sozialistischen Krisen sichtbar werden und sich konsolidieren.“ (S. 296) 

Die Philosophie von Nietzsche ist aphoristisch, jeder kann sich aus dieser herausholen, was in seine Ideologie passt. Dennoch hat dieses widersprüchliche Denken nach Lukács einen systematischen Bezugspunkt, der sich trotz seiner „politischen Naivität“ und „ökonomischen Unwissenheit“ (S. 292) durch sein gesamtes Werk durchhält: Dies ist der Kampf gegen den Sozialismus. Die Zitate  aus den verschiedenen Perioden seines Werkes belegen diesen Gedanken eindrücklich. 

Selbst die erkenntnistheoretische Position Nietzsches, die Lukács als subjektiven Idealismus und Agnostizismus charakterisiert, hat einen Bezug zu seinem Antisozialismus. Lukács schreibt dazu: „Letzten Endes erstrebt eine jede ‚Immanenz’ der bürgerlichen Philosophie des Imperialismus dieses Ziel: aus der Erkenntnistheorie die ‚Ewigkeit’ der kapitalistischen Gesellschaft abzuleiten. Nietzsches besondere Bedeutung liegt darin, daß er diesen gemeinsamen Gedanken der imperialistischen Philosophie in suggestiven Paradoxen offen ausspricht und damit auch in der Erkenntnistheorie der führende Ideologe der militanten Reaktion wird.“ (S. 341) 

Die heute vorherrschende Meinung unter den bürgerlichen Philosophen, dass es keine gesicherten Wahrheiten gibt, ja dass der Begriff der Wahrheit selbst obsolet wäre, trotz aller Erfolge z.B. der naturwissenschaftlichen Theorien, die jeder sehen kann, findet in Nietzsche einen wirkmächtigen Propagandisten. Das erklärt vielleicht auch die schon in seinen letzten Lebensjahren einsetzende und bis heute anhaltende Faszination auf die opportunistische Intelligenz. Obwohl es Nietzsche in vielen Bereichen der Wissenschaft an Sachkenntnis fehlt, besonders bei gesellschaftlichen und ökonomischen Themen, wirkt er durch seine brillante Schreibweise und sein philologisches Genie. Aber selbst dort, wo er radikal zu kritisieren scheint, etwa in seiner These: „Gott ist tot“, propagiert er inkonsequent wieder eine neue Religion: „Die Widerlegung Gottes: - eigentlich ist nur der moralische Gott widerlegt.“ (S. 317)  Seine Religionskritik ist nur die Verkündung eines neuen Mythos. Sein „religiöser Atheismus“ hat „die Funktion, das religiöse Bedürfnis jener Schichten, die mit den positiven Religionen gebrochen haben, zu befriedigen, und zwar in Form einer eventuell sehr scharfen Polemik gegen diese, womit der Schein einer ‚unabhängigen’, ‚nonkonformistischen’, ja ‚revolutionären’ Attitüde bei seinen Anhängern begründet wird; er muß aber gleichzeitig die für den Bestand der kapitalistischen Gesellschaft wichtige Religiosität überhaupt bewahren. Der ‚religiöse Atheismus’ ist also ebenfalls eine Erscheinungsform der indirekten Apologetik.“ (S. 316)  Letzteres macht die durchgehende Linie seiner Schriften, bei allem Wechsel seiner Auffassungen und bei allen widersprüchlichen Äußerungen, aus.

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Stand: 31. Mai 2005